MITGLIEDER

Text von:
Irene Diwiak

Kindheit

Als Kind hatte ich die seltsame Vorstellung, alle anderen wären nur eine Vorstellung von mir. Ich existierte, aber meine Eltern, Großeltern, Geschwister, die Nachbarskinder und auch die völlig Fremden wären bloße Entwürfe meiner Fantasie. Oder, und diese Annahme war noch perfider: Jemand, ein Gott zum Beispiel, projizierte sie alle in einer seltsamen Art von 4D-Kino in mein Hirn und ich unterstellte ihm böse Hintergedanken dabei, vor allem dann, wenn meine Mama einmal wieder mit mir schimpfte. Auf die Idee, ich selbst könnte auch nur Projektion sein, kam ich nie. Vielleicht habe ich Descartes‘ „Ich denke, also bin ich“ intuitiv beherzigt. Vielleicht war ich narzisstisch genug, mir problemlos eine Realität ohne alle anderen vorstellen zu können, aber nicht ohne mich. Ich war so essenziell, dass jemand, ein Gott zum Beispiel, sogar ein ganzes Netz aus Personen, Orten, Gegenständen webte, um mich darin einzubinden. Aber nur zum Schein natürlich, in Wahrheit war ich immer allein.