MITGLIEDER

Text von:
Florian Arnold

Seelenschimmern

Herr T. bückt sich ganz phänomenal. An einem Montag beginnt er sich hinabzubeugen, er fährt den ganzen Tag über fort, den Oberkörper über den Unterkörper zu klappen, so daß die Nasenspitze passgenau zwischen die aneinandergelegten Kniescheibnen gleitet. Am Dienstag fährt Herr T. mit dieser Bückung fort, bis er am Mittwoch schließlich den Oberkörper zweifach über den Unterleib gefaltet hat, der seinerseits den Oberkörper umhüllt. Am Donnerstag wird die Bückbewegung so stark perfektioniert, daß man von Herrn T. nichts mehr sieht und am Freitag ist er vollkommen verschwunden und nur ein mattes Leuchten weist noch auf die Stelle hin, an der sich Herr T. bückte. Wohin er sich bückte, weiß man nicht genau, ich trete aber den Vorstellungen von Dr. Lümm entgegen, der behauptet, Herr T. veranstaltet das alles nur, um von seinen immensen finanziellen Problemen abzulenken. Auch Frau G. bückt sich ganz hervorragend. Sie wölbt zunächst den Vorderkörper vor, senkt ihn dann langsam in Richtung des Erdreichs, schlingt die Arme um die Knöchel und fädelt den Oberleib elegant zwischen ihre auseinandergestellten Beine, so daß ihr Blick rücklings der eigenen Wirbelsäule folgt bis zum Haaransatz, in dem wir ein wenig Grau entdecken. Dieses Grau hat mit der hervorragenden Wendigkeit von Frau G. nichts zu tun, es beweist nur, daß harte Arbeit ihre Spuren am Körper hinterlässt. Wenn Frau G. sich weiter bückt, kann sie beide Füße gleichzeitig vom Boden heben und neben den Ohren in die bereits stark gewölbte Gesamtgestalt einfügen. Am Ende sieht die Frau aus wie ein Möbiusband, und das ist noch nicht einmal das Schönste, was sich über Frau G. sagen lässt.