MITGLIEDER
Text von:Daniel Weissenbach
Ausschnitt aus dem Roman “Die Unmöglichkeit”
(...) Die Schlachthofschwestern operierten allerdings als überaus eingeschworene Gemeinschaft und handhabten die Aufnahmekriterien in ihren Zirkel weitaus restriktiver als beispielsweise der Schwesterorden des „Haus- und Gartengottesdienstes“. Die Chance auf eine Vorstelligwerdung bei den Schlachthöflerinnen hinge also ganz von meiner Kooperationsbereitschaft in den nächsten Wochen ab, glaubte der Primar mich am richtigen Scheitel erwischt zu haben. Und ergänzte: Die Maßnahmen der Reintegration, die allmähliche Heranführung seiner verirrten Schützlinge an die Leistungsgesellschaft, seien ihm selbstredend das Allerwichtigste. Ich kicherte. Witzlos. Er unterband die gute Laune bereits im Anflug: „Jede volle Tausendschaft Arbeitssamkeit spuckt euch Irrgläubigen ein Extrastündchen Freigang vor die Füße; Und so viel sei dir verraten Bürschchen: Die Wegstrecke in die Diana-Bar beträgt approximativ 20 Minuten, so bleiben euch virilen Kerlen noch fast drei-viertel Stunden vor Ort.“ Obwohl sich das Ziffernblatt der Ordinationsuhr trotz Mückenstichs profunder Anstaltsanalyse keine Sekunde säumig zeigte, platzte die das Schauspiel illuminierende Glühbirne in heller Aufregung, als der hölzerne Kuckuckruck artig aus seinem Loch kroch, um den 16-Uhr-Patienten auszurufen. Augenblicklich verschattete Mückenstich`s Falschgesicht unter dem Eindruck unserer Endlichkeit; und als die Assistenzschwester den Kopf durch die Flügeltür klemmte: „Der Nächste? - da hatte der Doktor schon Leuchtmittel und Maske gewechselt und mimte einen Happy Hippokrates „Ich bin für alle da“. Wieder mir zugewandt, schlussfolgerte er aber differential-diagnostisch messerscharf: „So, so, sie sind also ein rechter Wüterich.“ „Schön langsam müssen wir aber hurtig zu einem Ende kommen.“ Uns einigen? Der Nächste wartet schon. Kommt immer einer nach, den es nach erlösender Diagnostik dürstet. Drei Fallaktenmeter später den gordischen Knoten durch den Fleischwolf getrieben: „Überborderlinende Pseudologia-phantastica bei Liebeswahn? Ich erkenne allerhand intermittierend explosible Störenfriede in seiner Seele, aber wo kein Kläger, da kein Richter, nicht wahr? (...)