MITGLIEDER
Text von:Gudrun Seidenauer
VIERUNDVIERZIG UND*)
Gewidmet den 44 Frauen, die 2018 in Österreich ermordet wurden. (Text für den Bloomsday 2019, Reverenz an Molly Bloom)
I EH NUR
Und wo ich doch fix und fertig bin von der Arbeit, den ganzen Tag im Dreck, das stinkende Wasser in den Schuhen, das Arschloch von Chef, und wer bezahlt denn den Fernseher, breit wie die halbe Wand, und wenn du dir ausgerechnet dann die Nägel lackierst, wenn ich heimkomm, das ganze Spielzeug verstreut, die brüllende Kleine, kein Essen am Tisch und du in der Jogginghose, das Frühstücksgeschirr noch in der Abwasch, da brauchst dich doch nicht wundern, zeig her, ist eh nur ein Bluterguss.
II MÜTTERLICHER RAT
Und eine Mutter, die ihre Kinder verlässt, ist keine Mutter, nicht einmal eine Frau, nirgendwo auf der Welt, auch hier nicht, wo die Frauen wie Männer sein wollen, arbeiten gehen, gut, mitreden auch, recht und schön, aber Hosen und große Schritte und Blicke überallhin und Rechte, nichts als Rechte, keine Pflichten, und küssen in dunklen Ecken unter sechzehn, das kommt von der Schule, von den Büchern, den Freundinnen, und schamloses Lachen auf der Straße und Schminke mit dreizehn, Zigaretten und der Minirock zusammengerollt hinter dem Bett, die hab ich damals gefunden, vielleicht ist es ja auch meine Schuld, weil ich geschwiegen habe, als ich sah, wie du wirst. Und er hat sich bei dir entschuldigt, mehrmals, sogar geweint, welcher Mann tut das, das hätte dein Vater doch niemals, und dein Mann raucht nicht und trinkt nicht, in drei Monaten schon ist euer Drittes da, er liebt dich doch über alles, hat er gesagt, geschworen hat er es, deinem Vater und mir, jetzt sag mir, was willst du denn noch?
III RESPEKT
Und selber schuld, diese Bitch, wenn die mit den falschen Wimpern klimpert und den Arsch schwingt, wenn er vorbeigeht und ihm fallen die Glotzer raus, ich liebe ihn, klar, und er mich, aber Typen sind Typen, und mir spannt den keine aus, auf meine Sistas kann ich zählen, die stehen stramm auf ein Wort, nach dem Sport in der Garderobe, da war es perfekt, sie sollte was lernen fürs Leben, und zwar Respekt, dass das Wasser so heiß wird, kann doch keiner wissen, und dass die dann ausrutscht, ja gut, die Tschick auf der Stirn, das war nicht nett, aber sie war es auch nicht, diese Bitch, und er hat ihre Nummer am Handy und ein Foto, was hätt ich da tun sollen?
IV WO FÄNGT GEWALT AN
Und dieses hämische Lachen, dieses wissende Schweigen, dieser schief gelegte Kopf und das Seufzen dazu, die zusammengezogene Falte zwischen den Brauen, die sie so alt macht und böse, dieses „Ach, bei deiner Mutter..“, oder „Kein Wunder, bei deiner Familie“ und Kopfschütteln und keine Antwort, wenn ich ihr ganz konkrete Fragen stelle, zum Beispiel, wie sie denn darauf komme und woher sie das habe, diese Zusammenhänge von allem und jedem, dann Achselzucken, eine einzige Absage an alles, was noch rational ist, „männliche Logik“ heißt es dann und „Mich wundert ja nicht, dass du zu deinen Gefühlen keinen Zugang hast“, Verachtung nenne ich das, und wie sie sich selber feiern, diese Weiber, Prosecco am Nachmittag und wir wollen alles und zeig doch Gefühl, aber wehe, es ist mal das falsche dabei. Man kommt sich ja vor, als wäre man schuldig, nur weil man ein Mann ist, und ja, ich hab sie geschubst, und wie sie wieder gelacht hat, und dieser Blick, als wär ich ein Wurm, Sie haben keine Ahnung, wie sie ist, und Worte können mehr weh tun als jeder Schlag, und schlagfertig ist sie wie nur, ist Ihnen das schon mal aufgefallen, was für eine Wahrheit in diesem Ausdruck steckt, nein? Und ihr Blick und ihr: „Mach Therapie, sonst geh ich!“ Wo fängt Gewalt an, sagen Sie mir das! Zählt denn das nichts mehr, ist das denn nicht mehr wahr, nur weil es ein Mann sagt, weil die Opfer sind nämlich sie und nur sie, nicht wahr, und ich bitte Sie, ich weiß schon, das hätte ich niemals, ich bin gegen Gewalt, ganz egal, von wem sie ausgeht, und das ist die Frage, von wem, das wird man doch noch fragen dürfen, oder nicht und das kommt ihr jetzt auch noch recht, jetzt hat sie mich in der Hand, so ein Fischmesser ohne Schneide, mein Gott, was kann das schon ausrichten?
V Und der Bruder hat recht
Und zuhören und Lächeln wie eine Mutter, so sanft wie der Sommermond, und Finger im Haar, und blitzende Zähne und Rosa, und baden im Licht ihrer Augen, und ein Streifen Haut hier und einer da, und schneeweiß und weich und straff, und Winken mit über die Schulter geworfenem Blick, der nicht ausweicht, und die Handynummer und sagen Klar treffen wir uns! und ich trage mein bestes Hemd und tanzen und trinken und dann: Nein. Sie hat einen Freund, sagt sie, und ich: Du verarscht mich, oder was? Und sie: Nur Freunde, verstehst du? Und dann: So war´s nicht gemeint. Dann muss ich es tun, sonst bin ich kein Mann und meine Faust fragt für mich WIE/MEINST/DU/ES/DANN?
Und der Bruder hat recht, der gesagt hat, pass auf, das sind alles Huren.
VI Die Klügere sein
Und ich hätte nicht sagen sollen, dass die auf dem Amt auch nur ihre Arbeit tun, dass er keinen Vorrang hat, wenn er in den Kreisverkehr einbiegt, dass er seine dreckigen Socken aufheben soll, und wegen dem Malkurs, da hätte ich schon warten sollen, bis er gegessen hat, nach der Sportschau wäre es gescheiter gewesen, ihn zu fragen, nach dem Sex vielleicht, da ist er gut drauf, kränken würde es ihn schon, wenn ich das einfach entscheide ohne ihn, sagt er, schau, ich erkläre es dir noch einmal im Guten, sagt er, da war er noch nett, wieso vergesse ich das immer, und klar, das gibt dann Streit, ich muss doch die Klügere sein, wieso war ich wieder so dumm, das verträgt er halt nicht, aber jetzt achtgeben, dass ich mir nicht ins Gesicht fahre, denn sonst verwischt der Abdeckstift. Und ihm tut es dann eh immer tagelang leid, zweimal hab ich schon Blumen bekommen danach, so ist er erzogen, er meint es nicht so.
VII Was nicht wahr sein darf
Und dieser Moment danach, wenn wieder klar ist, dass sie Mist baut und es verdient, das ist es wert, diese herrliche Ruhe in den Fingern und im Kopf, der befreite Atem und das Wissen, wer recht hat, wenn ich ihr Bescheid gebe von Zeit zu Zeit, aber länger als ein paar Tage oder Wochen hält es nie an, und alles beginnt wieder von vorn, du kapierst es nicht, sag ich ihr immer, und dieses Miststück, das nichts dazulernt, hat, verschlagen, wie sie ist, - das glaubt mir doch keiner von den Kumpels! - , es tut nicht einmal weh, und das darf doch nicht wahr sein, möchte ich sagen, du Miststück, möchte ich sagen, aber die Wörter sind gurgelndes Blut und diese herrliche Ruhe kehrt wieder, erreicht jetzt den Kopf, nur der Messergriff, der aus meiner Brust ragt, der stört.
*) Gewidmet den vierundvierzig Frauen, die im Jahr 2018 in Österreich ermordet wurden, mindestens 36 davon im Zuge sogenannter „Beziehungstaten“. Und all denen, die in diesem Jahr dazukommen werden.