MITGLIEDER

Text von:
Heinz Kröpfl

Textprobe

Sie stapfte durch die schneebedeckten Weinberge. Nur sporadisch war sie in den letzten Jahren hier gewesen. Vieles war ihr nach wie vor vertraut, anderes wirkte neu, geradezu fremdartig auf sie. Ihr Weg führte bergab. Der sich dem Abend zuneigende Himmel war grau; Wind prallte ihr scheinbar von allen Seiten entgegen. Das salzgetränkte Wasser auf ihren Wangen begann zu gefrieren. Den dadurch ausgelösten, brennend stechenden Schmerz nahm sie nur am Rande wahr, er erschien ihr nichtig – gegenstandslos. In der Talsohle angekommen, die tatsächlich eine schmale, gewundene Senke war, hielt sie inne. Sie blickte um sich: Weit und breit konnte sie keine Menschenseele entdecken.
Ich gehe und ich gehe und es geht, redete sie sich wie ein Mantra ein. Ging das?
Bestenfalls irgendwie.
Sie wanderte weiter, zum vor ihr liegenden Weingarten hinauf.

Am Vormittag hatte sie erfahren, dass ihre Mutter sich über Nacht das Leben genommen hatte.
Und Walter – war auch weg.
Aber das wiederum war schon etwas länger her.

Aus: Winterjahr, Roman, Iatros Verlag, Sonnefeld-Gestungshausen 2018