MITGLIEDER
Text von:Lydia Haider
Textprobe
Warum sich an diesem gleichgültigen Sonntag plötzlich diese Aufregung breitmachte, konnten wir uns nicht erklären. Wir saßen am Kaffeetisch mit Kuchen in den Mündern, als uns vom Fenster aus die Älteste auf die stehengebliebenen Spaziergänger aufmerksam machte. Zuerst waren es zwei, die nicht mehr weitergehen wollten, nervös telefonierten, dann blieben auch die nächsten beiden stehen, und das, obwohl es draußen minus zehn Grad haben musste. Als nebelig feuchte Fratze kroch das Wetter zum Fenster herauf, die Köpfe dicht gedrängt, wollten alle wissen, was denn da geschehen war. In etwa zweihundert Metern Entfernung war die Stimmung besorgniserregend angeschwollen, fahrig stiegen die dunklen Figuren am Straßenrand umher, und trotzdem der November die Büsche und Bäume gänzlich entkleidet hatte, war nichts Aufschlussreiches zu erkennen. Es musste etwas passiert sein, etwas Bedeutendes, Einschneidendes womöglich, das spürten wir bis in unser volles Zimmer herein. Dort unten, an unserem ehedem liebsten Spielplatz, am ewigen Gerinne, dem Bach, umzäunt von aufgefahrenen Pappeln und sitzendem Gestrüpp, für Banden und Revierkämpfe der Kinder der ganzen Gegend ein ungestörter Platz zum Austoben, an diesem Lieblingsplatz aller jungen Menschen der Umgebung, genau dort war etwas geschehen, das diesen Ort für immer unbespielbar machte, und das wussten wir in diesem Augenblick, obwohl wir noch keine Ahnung hatten, was genau hier über uns hereingebrochen war. Der Nebel hing schief über den nassschwarzen Baumstämmen, die wie Stummeln in allen Hängen ringsum staken, indes die Wolken, beschwert mit Wasser, tiefer denn sonst hingen. Und durch das Gewölk brach kein Licht, nicht einmal das Gebirge am Horizont erleuchtete uns die Gegend, selbst die Felsen schienen sich zurückgezogen zu haben, um sich aus diesem hundsgemeinen Kräftemessen herauszuhalten.