MITGLIEDER

Text von:
Katharina Johanna Ferner

Textprobe aus "Bühnenperspektiven"

Es ist immer eine Außenperspektive, ein außen vor, die Zuschauerperspektive von oben. Der Bühnenrand ist unsichtbar, das Mikrofon knackst und die Stimme, die spricht, ist nicht dieselbe, die man von Tonaufnahmen kennt. Manchmal wird über Seiten gehetzt und geholpert und niemand bemerkt es, aber selbst beißt man sich auf die Zunge und es wird heiß im Kostüm. Beim Tanzen geht da alles ganz einfach. Die Kleiderstücke werden weggeworfen, eines nach dem anderen, und alle denken, es gehört dazu, und wenn die Reißverschlüsse einmal klemmen, lächelt man das einfach weg. Es ist so: Du schaust ins Publikum und kennst alle. Und du weißt, gleich kommt eine Sexszene. Und du stellst dir alle nackt vor, in der Schule haben sie immer gesagt das hilft, aber jetzt siehst du nur die Cellulitestreifen und die faltigen Brüste und schluckst. Und dann nimmst du einen Schluck Wasser, aber es ist Kohlensäure darin, und du merkst, wie dir die Luft den Hals hochkommt, sich hochdrückt. Räuspern. Sesselwetzen. Die Moderation ebbt ab, dein Atem ist so laut, dass es dir vorkommt, als würdest du ins Mikrofon rotzen. Du siehst, wie die ersten Leute einnicken, sprichst schnell und klar und manche reißen die Augen wieder auf, stoßen vor Schreck mit dem Fuß ans Weinglas. Es klingt in den Ohren nach. Würdest jetzt auch lieber sitzen und Wein trinken. Blätterst um. Hast gar nicht bemerkt, dass der Satz schon zu Ende war, bist unaufmerksam, abgelenkt, hängst eigenen Gedanken nach. Schaust kurz hoch. Wohlwollendes Nicken. Du lächelst und schaust an den Menschen vorbei, die du nicht kennst, schaust, wie lange der Weg zur Tür, zählst die Treppen, die Minuten. Irgendwo tickt eine Uhr, aber du siehst sie nicht, hörst sie nur. Tick, tick, tick. Jemand wackelt mit dem Fuß. Jemand schnauft. Gelächter. Schaust auf die Buchseiten. Kennst die Worte auswendig, verlierst die Zeile, ohne es zu bemerken, rezitierst du den Text. Die Perspektive verwackelt. Aufstehen, Hände schütteln, krampfst die Finger, klebrig vom Wein, hast das Glas zu schnell hochgehoben, schwungvoll an die Lippen gesetzt, rote Ränder am Glas, dunkelrote Innenlippen, leckst mit der Zunge, sieht später hässlich aus auf den Bildern. Dass sie viel getrunken hat, werden sie sagen. Sie sagen immer etwas. Das ist gut, solange sie reden, wirst du nicht totgeschwiegen, bist du Thema, bist du präsent, bist du.

(gesamter Text: https://derhotlistblog.wordpress.com/2016/05/06/indie-autorinnen-schreiben-fuer-uns-katharina-j-ferner-9/)