MITGLIEDER

Text von:
Hildegard Kokarnig

ANREDE

Da liegst du schwer, flechtenadrig.
Wenn die Sonne dich abtastet, anthrazitfarbig; blau schillernde Fläche aus Granit, wenn sich Schatten über dich legt. Findling. Würdest gerne zum Steinerweichen weinen, aber deine Tränen sind Drusen-Drüsen, deine Stimme Erz. Muttersteinspaltung.
Aus der Tiefe gerissen, geschoben, ausgespien! Das Pochen der Bergarbeiter in den Minen von Krasnojarsk, oder überall, wo das Metall aus meiner Seele geschält wird, bis ich ende als Staub. Ich lebe langsam. Ich bleibe, ich liege, ich bilde mich, ich tauche in Meere, presse, speie, bröckle, erodiere, aber ich hetze nicht; ich atme wie ihr, aber so langsam, dass in dieser Zeit die Hunnen über die Ebenen reiten, die Chinesische Mauer erbaut wird, Leitungen über Kontinente gespannt werden und die Atombombe Hiroshima in glühenden Dunst verwandelt. Ich habe noch immer nicht fertig geatmet. Ich nicht Raum, ich räume, ich nicht Zeit, ich zeitige.