MITGLIEDER
Text von:Corinna Antelmann
Auszug aus dem Roman Vier
Später dann, im Hotel, als alle Töne längst von mir abgefallen waren und Stille herrschte, angenehm auf eine Weise, weil sie die Wirklichkeit, wie sie sich mir neu darstellte, abtrennte von dem, was ich mein Leben nannte, da flüsterte ich dir anderes ins Ohr als diese Schubert-Worte, die sich an die Heilige Jungfrau richten.
Let me step inside your body, sagte ich und sprach tatsächlich Englisch, auch wenn es möglicherweise lächerlich geklungen hat. Aber ich wollte unbedingt in einer anderen Sprache sprechen, vielleicht, um dich von mir fernzuhalten, von der Maria, die mit ihrem Bengt glücklich ist. Für den Moment versuchte ich, eine andere zu sein, eine, die André begehrt und sich diesem Glück hingeben kann, ohne Wenn und Aber, ohne die Frage, wie es weitergehen soll, nachdem Nachdem, ohne die Frage, wie es sein würde, 15 Jahre später neben dir, André, aufzuwachen. Ob das Begehren noch da sein würde oder erstickt unter der Reue, den anderen, Bengt, dafür verlassen zu haben, was im Übrigen ein Gedanke ist, der, wenn überhaupt, nur im Englischen funktioniert und den sich die deutsche Maria niemals gestatten, geschweige denn aussprechen würde, niemals,
denn ich liebe dich, Bengt, das weißt du.
Let me step inside your body, wiederholte ich aus dem Trotz heraus, wenn ich schon eine fremde Sprache wählte, dann zumindest nicht Französisch. Du solltest auf keinen Fall hochmütig werden können, André, also glauben, dass ich mich dir anpassen, sprich: in deine Identität mit hinein schlüpfen und darüber meine Lebenswirklichkeit schließlich vergessen würde. Glaub nicht, André, sagte ich schon bald zu dir, glaub nicht, dass ich Bengt je verlassen werde. Wir sind ein gutes Paar. Ich liebe ihn. Ses belles mains quand elles se posent sur une épaule ou sur mon bras, tout se métamorphose, on oublie la mort, sagtest du ungerührt. – Wenn sich ihre schönen Hände auf meine Schulter legen oder auf meinen Arm, dann verändert sich alles, man vergisst den Tod.
Let me step inside your body, Geliebter. Und du öffnetest deinen Brustkorb, zogst auch das Zwerchfell ein wenig nach unten, damit ich mehr Platz hatte in dir, dann klappten die Lungenflügel wieder zusammen und umfingen mich mit einem Schutz aus Fleisch und einem Schwall aus Blut und einer Umgebung aus Körper, und ich befand mich in einem Zustand der Auflösung, jenseits dieser Welt.
Ja, André.
(Auszug aus VIER, Roman, Septime-Verlag, Wien, 2014)