MITGLIEDER
Text von:Herbert J. Wimmer
aus: ÜBER DEUTLICHKEIT - KÜHLZACK & FLEXER - REFLEXIVE DREHTEXTEXTRAKTE
01
kühlzack singt ein altes lied ( ein wurzeltraum)
ein ego steht im zeichenwald und pfeift auf identität.
die suchwurzeln eines wurzelsuchers verschlingen sich zur gestalt. was die gestalt des angenommenseins angenommen hat, wird angenommen und ausgenommen.
egozinsen fallen an, werden abgeworfen.
refrain:
ego fein, ego mein,
das ich ist klein
(und passt in alle mädi rein):
(selbst-)zensurangebot:
und passt in alle medien rein.
brotherline mind, brüderlein feind ...
(horch in die hochdruckfehlerteufelsschlucht -
hörst du s schrein aus dem echo-schrein?).
kühlzack hat seinen vortrag beendet und schaut flexer an. flexer schaut in seinen text.
(…)
11
kühlzacks aufnahme
abmoderation - dankadresse
ein bewegender abend für die kunst, für die literatur, alle haben sich bewegt, meldet der abmoderierende kulturredakteur als bewegungsmelder live an seine redaktion. unbeweglich steht er im bild, hinter ihm der guckkasten, mitten im glotzkasten.
herr privatsponsor, herr drittmittelgeber, herr generaldirektormaecenas! wir bitten um eine wortspende für unser publikum, unser publikum wartet gespannt drauf, was sie uns zu sagen haben!
ein wortspender fällt in die festpose antrainierter gelassenheit, posenfest gezügeltes pathos bricht faltenlos aus dem erstklassig anthrazitenen business-anzug.
ich muss mich bei mir für meine grosszügigkeit bedanken, muss mich bei allen beteiligten für den grosszügigen dank bedanken, mit dem sich alle beteiligten bei mir für meine grosszügigkeit bedankt haben. wann immer sie das bedürfnis haben, sich bei mir und mit mir für meine grosszügigkeit zu bedanken, ich stehe immer zur verfügung, das von allen zu bekommen, was ich haben will und weiterhin meinen dank entgegen zu nehmen.
vielen dank, herr privatsponsor, herr drittmittelgeber, herr generaldirektormaecenas! ich darf ihnen im namen aller beteiligten dafür danken, dass sie unserer anstalt die rechte an ihrem grosszügigen dank überlassen haben, dass ihr grosszügiger dank die koproduktion ihres dankeswerks dankenswerter weise von uns allen mit uns allen ermöglicht hat. sie haben uns gelehrt, den unschätzbaren wert des danks an sie wieder schätzen zu können. vielen vielen dank!
diesen sendungsrest hatte ich auf meinem rekorder gespeichert, weist kühlzack auf den bildschirm seines laptops. flexer zeigt keine veränderung gewohnten verhaltens.
12
flexers schöpferisches tagebuch, auszug vier
kühlzack nach tisch
die mittel der kürzung ergeben die kürzung der mittel: betriebswirtschaftliche kostenrechnung neoliberaler unternehmensberatung verschlankt die arbeitnehmerfetten unternehmen, die beamtenfetten öffentlichen einrichtungen. die kostengünstig mittelverschlankten öffentlichen einrichtungen verringern ihre aktivitäten und damit ausgaben in bereichen, die nicht sofort berechenbaren nutzen aufweisen, kunst und kultur abseits des status-quoten-mainstream vor allem. die nutzen-arten von kunst und kultur sind durch die berechnungsarten der verschlankungssysteme überhaupt nicht errechenbar, das macht diese arten der kostenrechnung für die zurückstutzungsaktivitäten der verschlankungsgetriebenen politiker so besonders attraktiv.
produktive autorinnen und autoren suchen nach stipendien und preisen. in zeiten kleiner werdender förderungstöpfe suchen produktive interpretinnen und interpreten nach finanziellen unterstützungen. kunst und wissenschaft finden sich mit ihren publikationslisten (evalu-aas fürs aas-gegeier der evaluatio) immer öfter um die selben töpfe geschart. ich brauche förderung, sagt der interpret zum autor, um mich gründlich analytisch mit deinem werk beschäftigen zu können. ich brauche preise und stipendien, damit ich mein werk um neue werke erweitern kann, antwortet der autor, antwortet die autorin. forciert verständnisvolles aufeinander einlachen darf unter keinen umständen vermieden werden. evalu-aal-glatt müsste man sein.
man kann ein werk nicht oft genug schaffen, atmet kühlzack aus nächster nähe gegen flexers schädel. flexer blättert um.
(…)
Quelle: KOLIK, zeitschrift für literatur, nr. 32, wien 2005