MITGLIEDER
Text von:Peter Sragher
Wie ich in die deutsche Sprache geboren wurde
Eigentlich fing schon alles vor meiner Geburt an. Ich entwickelte mich gerade hervorragend, noch wasserumhüllt, im Bauch meiner Mutter. Da war meine Familie auf der Jagd nach einem Namen. Und zwar nicht zum ersten Mal. Der ältere Sprössling der Familie Sragher hatte drei Jahre zuvor nach einem kurz ausgetragenen Disput den Vornamen Thomas erhalten. Dies als zarte Huldigung des grossen Meisters der Worte, Thomas Mann, der vorerst meine Tante Leni, aber nachträglich auch andere Mitglieder der Familie in seinen Bann gezogen hatte.
Für mich kam man in der Schicksalsstunde auf einen anderen deutschen Namen: Peter. Niemand hatte während dieser Tage der fieberhaften Namenssuche an den Heiligen Petrus als Anstifter einer Namensverleihung gedacht. Aber warum wurde ich Peter getauft? Einen poetischen Anflug sollte meine Geburt wahrhaftig haben, weil in unserer Familie immer wieder die Schwäche für Kunst die Oberhand gewinnen sollte. Der Hintergedanke war, dass ich mit meinem Namen dem von meiner Tante Leni geschätzten delikaten oberrheinischen Schriftsteller Johan Peter Hebel eine Hommage erweisen würde. "Aber warum wollen wir ihm nicht einen rumänischen Namen geben. Er lebt letzten Endes in Rumänien. Würde nicht Petre oder Petru hervorragend zu ihm passen? Seht wie lieb er aussieht!",wandten einige Mitglieder unseres Clans ein. "Was hat sein Aussehen mit dem Vornamen zu tun? Er ist lieb, aber es bleibt bei Peter", hörte man die tiefernste Entscheidung meines Vaters, Sergiu-Alexandru, der sonst ein schüchterner Mensch war. Wieder einmal schlug im Hause Sragher die Waage für die deutsche Kultur aus. Um die fünf Generationen lange Familientradition nicht zu verraten, aber auch um das Herz meiner Mutter nicht zu brechen, eroberte ich die zwölf Stufen der deutschen Schule und Gymnasiums. Von der süßen Verführung der deutschen Literatur hingerissen, bemühte ich jahrelang meinen Geist mit dem Germanistikstudium, bis mich die deutschen Worte ganz in Beschlag nahmen. Sollen diese die Gründe dafür gewesen sein, daß ich mich entschloss, meine Gedanken der Nachwelt zu hinterlassen?
Jahre später erfuhr ich von meinem Vater, dass er als Gymansiast in seiner Einzimmerwohnung während des zweiten Weltkriegs an einem Nachmittag des Jahres 1940 tief schlief, als ein starkes Erdbeben die Stadt Bukarest erschütterte. Das über seiner Bettstatt aufgehängte Bild des jungen Goethe auf der Reise in Italien fiel dabei auf ihn nieder. Mein Vater wachte unsensiblerweise trotz dieses Gotteswinks nicht auf. Und doch erwies sich diese Begebenheit als besonders nachhaltig. Wenige Jahre später wurde mein Vater Schriftsteller. Wer weiss, wäre das Bild auf meinem Großvater gefallen, hätte mein Vater Johann Wolfgang geheißen