MITGLIEDER

Text von:
Martina Sinowatz

Im Gebiet der Stürme

„Moio! ... Mama! ... Moio!“, übertönte es das ohrenbetäubende Tosen. Ein Maat stellte der Italienerin wortlos einen Kübel hin, doch sie stieß ihn beiseite und spie auf die Planken. „Moio!“ Ohne zu murren wischte der Maat zum x-ten Male die Kotze weg.
Gerne hätte sie der Hysterischen ins Gesicht geschlagen, aber, selbst seekrank, fühlte sie sich zu schwach dazu und beschränkte sich darauf, die Sekunden zu zählen, bis die kleine Fähre wieder metertief ins nächste Wellental donnern würde.
Felice wankte; es würgte ihn. Trotzdem hielt der Umsichtige Ausschau nach Schwimmwesten. Sie beschloss keine anzulegen. Lieber würde sie schnell ertrinken, denn sie wollte Nässe und Kälte nicht lange ertragen müssen. Deshalb nahm sie sich
auch vor, gegen Schwimmreflexe anzukämpfen. Auf Rettung hoffte sie nicht; Nacht und Sturm würden noch lange andauern.
„Moio!“ Erneut ergoss sich ein stinkender Schwall aus dem schreienden Mund. Der Brei zerfloss im Wasser, das nun hereinschwappte.
Sie wunderte sich über die Verzweiflung der Italienerin, denn an sich selbst vermisste sie jegliches Bedauern darüber, dass ihre letzten Minuten angebrochen waren. Als erstes stirbt die Seele; Todesangst gibt es nicht. Diese Ergebenheit war ihr bereits bekannt: Einmal war sie schon davongekommen. Das war’s also, hatte sie damals gedacht.
Das war’s also endgültig.
Sie wartete auf den Film, aber die Nervenzellen nahmen die Bedrohung noch nicht wahr. Erst wenn die Wellenberge sie in die Tiefe gedrückt haben würden und sie, nachdem sie zwei-, dreimal dem Instinkt folgend nach Luft schnappend aufgetaucht und dann unwiederbringlich von den schwarzen Massen verschluckt worden wäre – erst dann würde der Film anfangen und ihr endlich – so hoffte sie – längst Vergessenes in Erinnerung rufen.
Sie sah ihren Freund, wie er seinen Kopf auf Margits Schoß gebettet hatte. Die Kreidebleiche strich ihm verklebte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er war schon zweimal kurz ohnmächtig gewesen.
Felice rutschte und stolperte immer noch umher. Sie setzte sich auf - obwohl ihr Magen schmerzte - denn die Szene schien ihr bedeutungsvoll. Das war wie im Kino.
Sie klammerte sich fest. Es ist sinnlos, Felice. Deine Liebste streicht einem anderen zärtlich die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Du wirst ausgeblendet. Das Schiff kracht im tobenden Meer - und wieder kreischt es auf. Ciao poverino.