MITGLIEDER

Text von:
Marietta Böning

7. Szene


[...]
Angelus. Die Straßenhaut, die mich ummäntelt, hat mich fast schon überwuchert. Ein Stückchen noch, ein Siegfriedsblatt ? und warte ich auf meinen Drachen? ? lasse ich frei, oder es lässt sich nicht bedecken. Ich denke mich den Kopf auf meinen Arm gestützt und jeden Stein parat. Ich bin beim Träumen auf der Hut.
Straßenkehrer. Warum tun wir das?
Angelus. Wirst schon noch sehen. Das ist zur Vorsorge.
Straßenkehrer. Ich verstehe nichts!
Angelus. Ich habe mich zu wehren aufgetragen. Sie bringen uns sonst um. Verstehst du das?
Straßenkehrer. Jetzt haben wir die Traumbahn frei.
Maler kommt von rechts mit Malutensilien, setzt sich, packt aus, sortiert und beginnt sein Tagewerk.
Angelus. Fiktion, die Rollen, das Pflaster, Staub, die Wunde: Alles bricht an Ränder: Bruchränder, Heilränder, Rundränder, die Ebenen gehen auf in Fransen, Zacken.
Maler. Erweitern sich in alle Richtungen, mit Rissen, Strichen, Luftlinien versehen. Alles bricht auf die Augen, Sinne, auf das Herz.
Straßenkehrer. Was wollt ihr denn?
Angelus. Ich will nicht wieder gehen.
Straßenkehrer. Wer sagt denn, dass du gehen musst?
Maler. Er wird nicht wieder gehen. Er trägt seinen Olymp in sich, der ist zu schwer. Er wirft ihn nächtlich ab. Es fallen Gottgesichter.
Straßenkehrer. Und du fängst sie heute morgen wieder auf!
Angelus. Der Berg zersetzt die Pflastersteine. Der Straßenmaler malt sie immerzu aufs Neue. [...]

Quelle: Auszug aus "Die Umfäller".