MITGLIEDER

Text von:
Karin Rick

Wilde Liebe

Nach ein paar Stunden gingen die letzten Gäste. Pascale und ich blieben allein zurück. Es war noch früher Abend. Der Umtrunk war von kurzer Dauer gewesen, ein kleiner, schneller Rausch.
Wir gingen auf die Terrasse. Ella Fitzgerald sang Jobim. Ella abraza Jobim, hieß das Album, um genau zu sein, sie umarmte ihn also, und die Musik schlich sich rhythmisch in die langsam dahin fließenden Minuten, machte sie länger, gehaltvoller. Das Saxophon spielte sich in wollüstige Höhen hinauf, während Pascale mich zu küssen begann und ich mir nicht vorstellen konnte, wie es nun weitergehen würde, wie Leidenschaft sich in ihr aufbauen sollte. Was sie tat, war so zart, zu zart, um mit Sex etwas zu tun zu haben. Mit dem Mann, der jetzt in Las Vegas weilte, war es einfach; sein großer, gut gepolsterter Körper strotzte immer vor sexuellem Verlangen, er drückte mich, schob und zog, rieb und presste, fickte in mich hinein. Er bäumte sich auf, ächzte und sprach in vielerlei Lustsprachen mit mir, kommentierte oder versprach, was nun kommen konnte. Entledigte sich seiner Flüssigkeiten, trank die meinen, es war klar zu sehen, wann Sex begann, wann er zu Ende war. Die Lederfrau, mit der ich vor Jahren eine Affäre hatte, zeigte ihr Begehren ebenfalls deutlich, in der Art, wie sie an mich herankam, mich packte, mich auf ihren Schenkeln aufreiten ließ, an mir leckte und saugte.
Mit Pascale war nichts klar, außer dass wir einander näher kommen würden, weil keine sich zurückzog, jede auf das Mehr neugierig war. Ihre Hände tasteten mich wie eine von ihr geformte, noch weiche Skulptur vorsichtig ab, um Unebenheiten nicht zu verletzen. Ihre Erregung spürte ich nicht. Ich hielt still, ich fühlte mich plastisch, im Vergleich zu ihr unglaublich materiell, saß auf dem Stuhl an meiner Terrassentür, von der schwedischen Nachbarin im Haus hinter uns kam kein Laut mehr, der Ort war in Stille getunkt, ich nahm keine Außenbewegung wahr, nur uns beide in der Dunkelheit, die Mauern sparten ein großes Stück Himmel aus, an dem Sterne funkelten, ohne Brillen waren sie für mich höchstens Nebelflecken. Ich ließ dieses Aneinandersein geschehen, ohne zu wissen, was genau daraus entstehen würde. Schon wieder spürte ich die Auflösung von Pascales Körperlichkeit in Wolken von Haar und feiner Berührung der Wangen, des Halses. Die Lippen huschten an meinen Brüsten entlang.

Da erfasste Pascales Zunge die Warze in einer Präzision, die mir eine heiße Blitzspur von Geilheit durch den Körper schickte und damit den Anfang des Aktes setzte. Das war Sex, meine Antwort auf ihre Zunge, dieses wissend drängende, jetzt in feuchter Härte in mich eindringende Organ, das nicht mehr aufhörte zu rotieren, bis ich in einer Gischt von immer enger, immer schneller über mir zusammenschlagenden oder mich tragenden Wellen zu dieser Spitze gelangte, die Orgasmus genannt wird.


Quelle: Auszug aus WILDE LIEBE Erzählung, Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2005