MITGLIEDER

Text von:
Bettina Balàka

Auszug aus "Der langangehaltene Atem"

Natürlich könnte ich in den Süden fahren. Natürlich könnte ich nach Ägypten fahren. In Ägypten gibt es den Nil und Nilpferde und Nilkrokodile, südlich von Ägypten den Sudan, den Sudd, Papyrus und Sümpfe. Der Nil ist in weiße und blaue Phasen zerteilt. Im Sudd blubbern halberstickende Fische, der Schlamm füllt Löcher und Legenden. Schlangen tauchen auf, sie bilden ein mückenumschwirrtes Gekröse. Diese Grasziegel, diese schlammwandigen Kanäle: alle Motoren fressen sich am verstopften Untergrund satt, alle Gänge wuchern zu und brechen auseinander, alle Pfähle liegen auf dem Trockenen, werden überschwemmt, blockieren sich selbst. Die Hitze ist stärker als alle Turbinen. Die Bodenlosigkeit ist breiter als jedes werktätige Geschlecht. Die Fäulnis läßt Kraut und Unmut gedeihen. Alles zerrinnt, die Flöße spalten sich zu Treibhölzern auf. Die Schiffe werden auseinandergebaut, zusammengeladen, verschoben, versenkt. Kein Horizont erklärt ein Ende der Flüsse und Arme. Der Grund ist zu weich für eine Bestätigung durch Schritte, und dennoch zum Fortschwimmen zu seicht. Keine Rast ist möglich in diesem Morast. Nackte Bäuche blitzen, winden sich darin. Die Luft scheint vergiftet, schwärend, durchschwärmt. Keine Rast, keine Zielfindung, nur zappeln, zucken, verzagen. So weit könnte ich kommen, so weit in den Süden, und sehen, was mir dort erblüht. Die Quelle des Nils ist ein alter weißer Fleck, der bis heute mit Flugzeugen entdeckt wird. Tiss-Isat, die schaumflatternden Katarakte, wo der Raddampfer zu einer ratlosen Erfindung verdampft. Natürlich könnte ich auch dort noch meine Hölzer beschnitzen, Steine beschriften, vielleicht findet und entziffert sie jemand einmal. Ob sich das für meine Arbeit bezahlt macht? Ich hätte eine andere Dankbarkeit gegenüber den Zeichen, die ich setzen kann, und unvernichtet verkaufen. Ich hätte eine Dankbarkeit gegenüber der überbordenden Nützlichkeit eines Tages. Ich wäre Dr. Livingstone, I presume? und bis an mein Lebensende gerettet.

Quelle: Der langangehaltene Atem, Literaturverlag Droschl 2000