MITGLIEDER
Text von:Karin Ivancsics
pickel
# 6
pickel
auf der nase! stichelte meine verstorbene vormieterin, die sich ausgerechnet mein badezimmer zum lieblingsplätzchen auserkoren hatte, ich dachte an raumclearing, zunächst, dann kaufte ich clearasil.
# 9
mysteriös
sagte sie zur sprechstundenhilfe, ich führe das leben einer nonne und habe die krankheiten einer hure.
# 15
transparenz
forderte er von ihrer beziehung zu ihm und schaute durch die finger.
# 18
vertretertreffen
zwinkerte der kellner seinem kollegen zu und deutete zum ecktisch, an dem ein junges pärchen saß. während der mann nicht müde wurde wie ein werbespot seine funktionen und qualitäten herunterzuleiern, bot sie ihm, ohne worte, aber mit glänzendem blick, seine rettung an, wie der wachturm zur freien entnahme.
# 19
sei meine prinzessin
sagte er und hob sie auf seine erbsen.
# 23
frühjahrsputz
sagte sie und holte die weihnachtsgeschenke vom letzten jahr aus dem kasten hervor. nachdem sie alle entstaubt und die namenskärtchen entfernt hatte, wickelte sie sie in geschenkpapier und schickte sie ihren lieben zu ostern.
# 26
my home is my castle
sagte er zu seiner neuen eroberung und zeigte ihr das haus. im keller spannte er sie dann auf die folter.
# 28
hallo
begrüßten sie einander am flughafen, keiner von beiden wagte es, den anderen zu berühren oder zu umarmen, sie standen sich bloß zitternd und verlegen gegenüber, solange, bis sowohl ihm als auch ihr der boden unter den füßen restlos entglitt, ihre knie schwach wurden und sie gleichzeitig aufeinander losstürzten, um den anderen aufzufangen.
# 29
austria
sagte der homeless zu den zwei touristen auf dem sunset, oh, i know this country, hitler was born there, right? dann lächelte er, verscheuchte rasch all die lästigen dämonen, die urplötzlich und zu hunderten, wie blutrünstige moskitos auf sie losgingen, mit seinem zerfransten strohhut und schüttelte beiden die hand. aber nein, beruhigte die frau ihren mann, nachdem sie den nächsten häuserblock hinter sich gelassen hatten, deswegen brauchst du dir nicht gleich die hände zu waschen, so schmutzig hat der gar nicht ausgesehen.
# 32
mein schatz
schwärmte sie von ihrem neuen verlobten, liest mir jeden wunsch von den augen ab. ich war voller bewunderung, für ihn und sein sehvermögen, bei all dem kleingedruckten, das da geschrieben stand.
# 33
wie heißen sie
fragte mich der solargebräunte fruchtsaftkeeper im fitnessstudio, trat hinter der bar hervor und baute sich neben mir auf. ich musterte ihn nur kurz, dann antwortete ich, nervös und überwältigt, jane!
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tschuldigung
begann die alte, die schon ziemlich angetrunken war und sich in der überfüllten straßenbahn einen herren, der anscheinend zum auftritt unterwegs war, zum ansprechpartner auserkoren hatte. er hielt seine baßgeige an einem bändel, trenchcoat, brille und haar waren im gleichen beigeton gehalten wie die verpackung seines instruments. rechts und links an den ohren wuchsen ihm scheuklappen, in gedanken auf das bevorstehende konzert starrte er geradeaus, ohne sie eines einzigen blickes zu würdigen. die straßenbahn ruckelte in den kurven, die alte schwankte gewaltig und kam dem musiker und seinem wertvollen instrument immer wieder gefährlich nahe. was sie ihm erzählte, war aus der distanz nicht zu verstehen, aber es war zweifellos von großer wichtigkeit, für sie. dann, plötzlich, niemand hatte es wahrgenommen, außer mir, versetzte der musiker ihr einen blitzschnellen stoß mit dem ellbogen, sie fiel um und begann zu schreien. der schwarze, der neben ihr stand, versuchte ihr aufzuhelfen, bei seinem anblick begann sie nur noch hysterischer zu kreischen. die fahrgäste hoben pikiert die augenbrauen, der musiker verzog keine miene, der neger kullerte mit den augen. an der nächsten station mußte ich raus, zusammen mit dem musiker. kurz überlegte ich, ob ich ihn auch anrempeln sollte, ließ es dann aber bleiben. man stelle sich vor: ich hätte ihn umgestoßen, jemand anderer hätte es gesehen und daraufhin mich flachgelegt, wiederum jemand anderer hätte das beobachtet und so weiter und so fort. eine ganze stadt am boden, wie dominosteine, und alles bloß, weil der künstler dem volk nicht zuhören und das volk sich vom ausländer nicht helfen lassen will.