MITGLIEDER
Text von:Christl Greller
Leseprobe aus NACHTVOGELTAGE
Seine Faust - die weißen Knöchel sternförmig daraus hervorstechend - sauste auf sie los, die mit ungläubig aufgerissenen Augen nicht weiter zurückweichen konnte als bis zur Wand. Die nun auch keine Angst mehr verspürte, als wäre sie nurBeobachterin eines Films. Die nicht glauben wollte, konnte, dass sie das wirklich erlebte.
Blitzschnell - hellsichtig - die möglichen Folgen davon auch noch vorhersah und sich doch nicht persönlich betroffen fühlte, im Gegenteil: Sogar ganz kurz, mehr Zeit war nicht, einen Hauch von Mitgefühl empfand für ihn, für den spürbaren Widerstreit zwischen zwangsartigem Vorschnellen und unbewusster Bremsung derselben Bewegung. Mitgefühl nicht aus seelischer Größe als Opfer, sondern als fremder, unbeteiligter Zuschauer. In diesem Augenblick läutete das Telefon. Die Faust traf Margot am Oberkiefer, knapp unter der Nase, doch der Schlag war in seiner Kraft gebrochen. Nicht nur hatte ein Teil von Felix versucht, ihn zurückzuhalten. Das plötzliche Schrillen des Telefons hatte - kreissägenartig - die irrwitzige Atmosphäre durchtrennt.
Felix´ Faust fiel herunter, baumelte an einem nicht zu ihm gehörendem Arm. Sein verzerrtes Gesicht verfiel, wurde schlaff. Sie standen sich gegenüber - wortlos, weißgesichtig, während das Telefon schrillte und schrillte - -
Quelle: NACHTVOGELTAGE Roman, Edition Rötzer, Eisenstadt 2002