MITGLIEDER

Text von:
Monika Gentner

Liebhabereien, Liebhaber-Reihen

Graz, im Frühling

Liebe Marianne,

danke herzlich für Deinen Brief. Es ist schön, von Dir in dieser alten Form zu hören. Hier in Graz gehen die Dinge ohne weitere Aufregungen ihren gewöhnlichen Gang. Obwohl ich mir nicht anmaßen mag, zu Deiner Frage etwas Bedeutsames zu sagen haben, springe ich dennoch gleich zu ihrem Kern.

Du fragst mich ernsthaft, ob Du Dir einen Liebhaber zulegen sollst – keine einfache Frage. Wie groß ist Deine Sehnsucht? Sicher würdest Du heutzutage mit Deinen 67 Jahren einen oder mehrere finden; es gibt Internetdienste sowohl für Liebhaber als auch für Freunde. Oftmals mangelt es Frauen ja nicht nur an Sex und Körperlichkeit, sondern auch an männlichen Freunden, die unseren Geist und unsere Seele schätzen und uns die Mysterien des Mannseins erklären. Obwohl, wie wir wissen, Vorsicht geboten ist. DIE Mysterien DES Mannseins sind vielleicht nicht vorhanden.  Denn wir sehen es als Fortschritt, dass nur mehr von besonders ignoranten Menschen von DER Frau und DEM Mann und ihren Mysterien gesprochen wird. Die Lebensentwürfe und Lebensläufe von Frauen und Männern sind zu vielfältig geworden, um sich über den einen Kamm scheren zu lassen. Seien wir ehrlich: Es ist nicht sicher, dass Dir ein Liebhaber ausreichend Freuden bringt. Er wird vor allem Geld kosten, Dein Geld. Ich sehe zwei mögliche Varianten. Zum Einen einen jungen Liebhaber, nennen wir ihn, als vermutlich von Dir bevorzugte Variante, L1. L1 ist also jung, im Idealfall kraftvoll, potent, klug, humorvoll und sensibel. Du wirst Dich mit ihm schmücken wollen, ihn zeigen wie eine kostbare Trophäe, ausgehen, reisen und die dadurch entstandenen Rechnungen diskret übernehmen, wenn er nicht gleich direkt deiner finanziellen Unterstützung bedarf. L1 ist noch nicht auf voller Höhe seiner Möglichkeiten. Er verschwendet seine Zeit mit Dir, was ihm zu lohnen sein wird. Man könnte auch sagen, er vollbringt eine delikate Dienstleistung an Dir. Sicher, er wird schon auf seine Kosten kommen, aber eine erotische Beziehung zu einer fast Siebzigjährigen verlangt ihm vermutlich mehr ab als zu einer, sagen wir, Zwanzigjährigen. Eros und noch mehr Cupido, die Begierde, lieben die Jugend, ihre glatten, sehnigen Körper, ihre frische Haut, die immer ein wenig nach Gras und Heu riecht, ihre weichen Haare …

Genieß sie, wenn es möglich ist und sich die Investitionen für Dich rechnen. Ich wage den Profit nicht abzuschätzen, denn junge Männer sind erotisch noch zu wenig erfahren, um mit einer reifen Frau volle Genüsse teilen zu können. Es wird nicht leicht sein, ihn zu finden – also jung, im Idealfall kraftvoll, potent, klug, humorvoll und sensibel. Aber möglich ist es. Was wirst Du tun, damit er nicht über Dich lacht? Über Deine Geilheit … süsse Geißel oder bitteres Geschenk? Vom Alter tiefer entblößt als bis zur nackten Haut, bleibt die blanke Existenz keine Stilfrage mehr.

Du wirst ihm nicht bieten können, was Vivienne Westwood Andreas Kronthaler bot, nämlich Furchtlosigkeit, Ruhm und ihre Liebe. (Gewiß auch Geld. Sie stellte ihn als ihren Assistenten an, bevor sie ihn heiratete. Träumst Du nicht schon lang von einem Sekretär? Kannst Du Dir einen leisten?) Und wenn Du ihm die erlesensten Genüsse bietest – weiß er sie (schon) zu schätzen? Wird er Deinen Geschmack an Speisen, Getränken, Landschaften, Architektur, Kunst, Musik und Literatur teilen? Oder zumindest so tun? Was wirst Du tun, damit er nicht über Dich lacht?

Vergiß nicht, Cupido ist auch eine Schmetterlingsart. Er wird Dich eines Tages verlassen und zu einer Jüngeren gehen. Du wirst  es von Beginn an wissen und keine Trauer zeigen dürfen, auch wenn Du welche fühlen solltest, denn Du hast das Spiel begonnen und stets um seinen Ausgang gewusst.

Oder er wird Dich langweilen, mit der Zeit, vielleicht Ansprüche stellen, die ihm in Deinen Augen nicht zustehen und das Ganze mag unschön enden. Wird, kann er Dir ausreichend Freuden ermöglichen? Bist Du schamlos genug, seinen glatten, sehnigen Körper in vollen Zügen zu genießen? Ich tue, was Frauen an Männern so hassen – das Starren: ich sehe nur sein Äußeres. L2 – der alte Liebhaber – schätzt Deine Spitzenbluse vermutlich mehr, solltest Du noch wagen, eine zu tragen. Vielleicht bezahlt er sie sogar. Auf jeden Fall wird die leidige Geldfrage keine sein, Dein Lover von Welt und Niveau hat genug eigenes. Welt und Niveau kannst Du nun verlangen, dazu Klugheit und Humor, nicht zuviel an Sensibiliät. An Kraft und Potenz wird es mangeln, denn Du willst bestimmt keinen Gecken, der solche Pillen schluckt. Es ist gut, wenn ihm die männliche Kraft schon weggeschlichen ist, denn sie endet oft in Starrsinn. Oder ist es umgekehrt: ist Starrsinn im Alter ein Potenzersatz? Starrsinn würde Dir Leid und Anpassungsfähigkeit abverlangen; beides wollen wir in unserem Alter nicht mehr gebrauchen. Ein „Mann von Welt“ – er ist früh und lange schon gereist, spricht mehrere Sprachen, er ist weltgewandt, hat Unterschiede in  Mentalitäten kennen und schätzen gelernt und Feinheiten von Kulturen. Ein „Mann von Niveau“ weiß um Qualitäten; er bevorzugt durchaus nicht immer das Bessere, wenn Gastgeber das nicht bieten, sondern das Passende, bei Wasser und Brot, Wein und Käse. Er kleidet sich modern, nicht modisch. Er schätzt Deine Seidenwäsche und zu geeigneten Stunden auch Dein unterschiedliches, schweres Parfum. Denn Du wirst ihm die „Frau von Welt und Niveau“ auch in Mode und Kosmetik beweisen wollen und, wie wir wissen, sind gerade die schlichten Kleidungsstücke aus guten Stoffen mit raffinierten Schnitten, in denen auch alte Frauen modern aussehen, die teuersten.

Kosmetisch, sagt die Werbung, kommt es nun auf Tiefe an. Ampullen, Cremes, Fluids, Lotions und Tonika haben in der Tiefe zu reinigen, in der Tiefe zu lösen, in der Tiefe zu nähren.

Er ist bereit, über Deine Zeichen des Alters hinwegzusehen, die Altersflecken auf der Haut, die Dellen an den Oberschenkeln, den Bauch, die hängenden Arme und Brust, das Gebiss, die Falten, die mürbe Haut, und grauen Haare, weiß er sich selbst nicht frei davon. Er versteht, dass nun alles einen gemächlicheren Gang gehen muss. Wenn Du Glück hast, hat er Phantasie und gleicht durch Zärtlichkeiten und Massagen Einiges aus. L2 hat Mengen an Erfahrung. Das spricht für ihn. Erfahrung, womöglich kombiniert mit Starrsinn, (jetzt ist später) zwingt aber Dich vielleicht in alte Tonlagen, viele der de Beauvoirschen treffen  meiner Meinung nach nicht mehr zu, nachdem nun die meisten Frauen wirtschaftlich selbständig sind und sein wollen.

Der Mann kann sich dennoch Dir überlegen fühlen, er kann glauben, Dich „gehabt“ zu haben wie einen Gegenstand, wo Du ihn genommen hast; Du bist womöglich versucht, alte Register der Unterordnung zu ziehen. Du wirst sie als tändelnd und spielerisch tarnen – und Dich im Grund über Deine eigenen Demütigungen und Passivitäten ärgern. Sich zum Objekt, sich passiv machen, ist etwas ganz anderes, als ein passives Objekt zu sein. Sich anpassen statt widersprechen, lachen statt ernst bleiben, sich dümmer stellen als frau ist; nicht fordern, sondern bitten; warten statt aktiv werden, ihn bewundern statt schätzen, zuhören statt sprechen. Es wäre vielleicht interessant, dieses ganze Arsenal weiblicher Verführung auf das Moment der aktiven Passivität hin zu prüfen. Womit fesseln Frauen Männer, abgesehen von ihrem Aussehen? Ihrer Bildung, ihrer Klugheit, ihrem Humor, ihrem Charme? Und, falls ja, welchen Anteil an Charme macht die aktive Passivität aus – ich denke, einen großen. Rein praktisch: Wie willst Du es anstellen? Ich weiß, Oskar benutzt gelegentlich Deinen Computer und Dein Handy; er nimmt Taschentücher oder Kleingeld aus Deiner Tasche; das hat Dich bisher, mit gleichsam sauberem Gewissen, nicht gestört. Du lebst mit ihm zusammen in einer Wohnung,  kannst also Deinen Liebhaber nicht nach Hause bringen. (Es wäre weitaus zu viel, abwechselnd mit ihm und Oskar im selben Bett zu schlafen.) Willst Du Dir also ein albernes Pseudonym – Pseudonyme sind stets albern – und ein zweites Handy zulegen, das Du in einem Postfach verstaust? (Es wäre zu riskant, es zu Hause zu haben.) Willst Du Zimmer mieten in einschlägigen Hotels, Betten, durch die schon Duzende geturnt sind? Was wirst Du Oskar sagen, wo Du Stunden, Tage, Nächte verbringst? Heimlich muss er sein, der katholische Sünden- Sex. Und möchtest Du mit Deinem Liebhaber nicht auch reisen?

Ja, ich weiß, Oskar arbeitet zu viel und Du fühlst Dich von ihm vernachlässigt. „Arbeit statt Lust“ scheint sein, ganz ökonomisches Motto des 19. Jahrhunderts. Er ist hier, aber nicht da. Du glaubst, er sei an Dir nur mehr mäßig interessiert. Oder hat Oskar schon eine Liebhaberin? Ich glaube nicht. Er ist zu ehrlich dafür. Du erreichst ihn, schreibst Du, immer, wenn Du möchtest. Du schreibst, Du hast keinen Grund für diesen Verdacht. Was würdest Du tun, wenn er Dir diesen Wunsch antrüge? Dein Oskar, der Dir die Blumen schenkt, die du liebst, der täglich mit Dir spricht und Dich in seine Arme nimmt. Dein sensibler Oskar, der fühlt, wenn es Dir schlecht geht und Dich tröstet. Oskar, der die Weine zum Glück nicht kennt, aber die verschiedenen Trauben mit einem Blick unterscheiden kann, und Apfel- und  Zwetschkensorten und der die Wildgräser weiss, die gut schmecken. Und der die Stimmen der Vögel an wenigen Tönen erkennt. Oskar, dem Du nichts beweisen musst. Oskar, in dessen Armen Du einschläfst und aufwachst. Oder weiss Oskar von Deinem Liebhaber? Was würdest Du tun, wenn es ihm gleichgültig wäre?

Liebe Marianne, wähle weise.

Es grüßt Dich herzlich,

Sophie