MITGLIEDER
Text von:Marina C. Watteck
H.C. Artmann oder warum ich nach Wien übersiedelte
Es muss ungefähr 1969 oder 1970 gewesen sein. Meine Mutter war bereits mit ihrem zweiten Mann, dem kärntner Maler Hans Hiesberger verheiratet, als meine kleineren Schwestern und ich gegen 4 Uhr Früh aus dem Schlaf gerissen wurden, weil im Parterre ein ziemlicher Radau herrschte. Ich schlich mich zur Stiege und luchste in den Vorraum, wo mein Stiefvater gerade sichtlich Mühe hatte einen unglaublich großen, bärtigen Mann zu bändigen, der keine Lust hatte sich ins Gästezimmer zu legen, sondern lauthals nach Rum oder Wein verlangte. Zuerst sah ich ihn nur von hinten und als er sich umdrehte, fiel ich vor Schreck fast die Treppen hinunter, er hatte ein unfassbar großes Veilchen auf einem seiner Augen. Der Hintergrund wurde mir später erklärt. H.C. Artmann hatte sich mit einigen Freunden in Klagenfurt am Lendkanal, eine Schlacht mit der Polizei geliefert und war verhaftet worden. Mein damaliger Stiefvater, der sehr gute Verbindungen hatte, konnte ihn auslösen und zu uns nachhause bringen. Ich glaube, dass meine schreckensgeweiteten Kinderaugen Eindruck auf H.C. gemacht haben, denn hat ließ sich widerstandslos ins Gästezimmer begleiten und schlief dort bis am Abend. Es stellte sich heraus, dass er für uns Kinder ein faszinierender und auch unglaublich liebevoller Gast war, der uns Gedichte vortrug, uns in Lachkrämpfe versetzte und sich in unserer Anwesenheit tadellos benahm.
Im Jahr 1981 feierte H.C. seinen 60. Geburtstag im ORF Salzburg und wurde mit allerhand Ehrungen bedacht. Kurz zuvor hatten wir uns wiedergetroffen, als er in die Buchhandlung kam, in der ich arbeitete. Er war offensichtlich sehr erfreut mich wiederzusehen, umarmte mich wie ein Bär und steckte mir eine Einladung zu seinen Geburtstagsfeierlichkeiten zu. Von diesem Abend an, war ich oft und regelmäßig bei ihm und seiner Frau Rosa zu Gast in der Salzburger Moosstraße und lernte dort die Elite der österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller kennen. Ich sog alles auf, wie ein Schwamm, denn nichts faszinierte mich so sehr wie die Literatur. Fünf Jahre später, zu seinem 65. Geburtstag wurde vom Residenz Verlag ein Fest in Hellbrunn für den Dichter veranstaltet und ich saß (auf seinen ausdrücklichen Wunsch) zwischen ihm und dem wiener Kunsthändler und Lebenskünstler Kurt Kalb. Letzterer steckte mir eine Einladung für „Ein Fest für Bruno Kreisky“ zu und bat mich zu kommen. Das war im Sommer 1986. Das Fest, das im Garten des MAK stattfand war eines der aufregendsten meines Lebens. Alle meine literarischen und journalistischen Heroen waren anwesend und an diesem Abend entschloss ich mich, nach Wien zu ziehen. Salzburg war mir definitiv zu klein geworden. Der Rest ist Geschichte.