MITGLIEDER

Text von:
Simon Ludescher

In einem anderen Licht betrachtet

Ich konnte nicht sagen, worin nun genau der Unterschied bestand. Vielleicht war es heller, vielleicht aber auch nur ein wenig blauer oder das Licht brach sich über dem Spiegel in einer anderen Art und Weise, die sich schwer festlegen ließ. Vielleicht war es auch nur der ungewohnten Tageszeit geschuldet, zu der ich im Badezimmer stand und mich betrachtete. Was ich jedoch ohne Zweifel sagen konnte, war, dass die neue Leuchtstoffröhre eine Veränderung in den Raum brachte. Die alte hatte unvermittelt den Geist aufgegeben. Kein klickendes Blinken, kein ersterbendes Surren, nur ein enttäuschendes Ausbleiben des Lichtes auf den gewohnten Schalterdruck. Die Fahrt zum Baumarkt war keine große Sache gewesen, die Rückfahrt zum Abmessen der defekten Röhre – wer hätte auch vermutet, dass es da etwa zwanzig verschiedene Größen gab – lästig, aber nicht weiter der Rede wert. Anders verhielt es sich nun mit der neuartigen Lichtkulisse im trauten Eigenheim. Nicht, dass sie auf irgendeine Weise unangenehm wäre. Es war nur eine kleine Veränderung und ein selten auftauchender Gast hätte wohl nicht mit Verwunderung auf diese reagiert. Ein Instinkt führte mich aus dem Bad in den Gang, wo die Verpackung der Leuchtstoffröhre zwischen Pizzaboxen und Keksschachteln aus dem als Papiercontainer zweckentfremdeten Wäschekorb ragte. Erst jetzt fiel mir auf, was mir in aller Konzentration auf Gewinde und Röhrenlängen im Baumarkt entgangen war. „Für Terrarien“ stand auf dem Leuchtkörperkarton. Schlagartig konnte ich das seltsame Gefühl einordnen. Ich hatte meine Nasszelle zum Lebensraum für Kriechtiere aller Art gemacht. Vor meinem geistigen Auge sah ich ein Chamäleon am Handtuchhalter hängen, Streifentaggeckos nach Silberfischchen schnappen und Landschildkröten auf der Personenwaage ein Nickerchen machen. Aber vielleicht war auch ich der Terrariumbewohner. Vielleicht war der Kauf gar kein Zufall, sondern ein Zug meiner reptilischen Instinkte. Zugegeben, mein Schuppenproblem hatte ich mit einem Wechsel meines Shampoos unter Kontrolle gebracht. Andererseits, war mir nicht ständig zu kalt? War ich nicht im Winter immer ein wenig bewegungsfaul, fast starr? Hatte mich meine Freundin nicht erst kürzlich als Kaltblüter bezeichnet, als ich meine eisigen Füße in ihre Hälfte des Bettes gestreckt hatte? Auch ein gewisses Talent im Fangen von Fliegen konnte man mir nicht absprechen, auch wenn ich auf den Verzehr derselben bisher verzichtet hatte. Eigentlich sprach einiges dafür, dass es sich bei mir nicht um einen Menschen handelte, sondern einen ausgewachsenen Leguan. Amüsiert schüttelte ich den Kopf. Was für ein absurder Gedanke. Wenn ich es genau betrachtete, hatte ich mich mittlerweile sogar an das neue Licht gewöhnt. Zufrieden leckte ich mir über die Augen, machte das Licht aus und ging in die Küche.

[aus Memoiren eines Goldfisches]