MITGLIEDER
Text von:Jakob Kraner
Vom Wunsch, Autos zu sehen
Ich bin so müde und verloren, dass ich Autos sehen will. Will ein Bett aus Glas in einem Schlafzimmer mit Glasboden über einem Autobahnknotenpunkt.
Kolonnen von Autos mit Scheinwerfern und roten Rücklichtern sollen unter mir durch Straßen fahren und es soll Nacht sein und die Autos sollen abfahren und auffahren, sich abspalten, in einem langen Bogen, oder münden.
Ein Strom von Karosserien in der Nacht, der nie abreißt, gleitend, von den Bodenmarkierungen magnetisch auf der Spur gehalten. Ich lehne den Kopf an die Autotür. Das Brummen des Motors überträgt sich über den Schädelknochen nach innen. Ich werde eins mit der lieblichen Vibration des Fahrzeugs, während ich einnicke, am Rücksitz, und wenn ich die Augen wieder aufschlage, blicke ich auf das graue Plastik der Autotürverkleidung, da, wo das Autofensterglas im grauen Plastik der Autotürverkleidung verschwindet.
Und vorm Fenster zieht die blinkende, weiße Mittellinie vorbei, im gelben künstlichen Licht, das dieses Betonambiente die ganze Nacht bescheint. Das gelbe, künstliche Licht, das sich an den lackierten Kanten der Autos reflektiert. Und all das bildet ein Lied: das kontinuierliche Brummen des Motors unter mir, das Vorbeiziehen der Autos auf der schnelleren Spur, das Vibrieren der Plastikverkleidung innen, das Rauschen von Gummi auf Beton, das Knacken des Ganghebels, der Verkehrsfunk.
All das bildet ein Lied und das Lied erzählt von Geborgenheit, von Versöhnlichkeit, von den Freuden der Klimatisierung. Lob des Getränkehalters, Lob der Kunstlederbezüge. Eine Hymne auf den weltumspannenden, warmen Beton, auf dem man schleusenlos in andere Religionen und Sprachen rollen kann.
Musik für einen Autobahngottesdienst.