MITGLIEDER

Text von:
Eva Jansenberger

Glück und Gnade

Mein Kopf wächst, - stellte Frau A eines Abends fest -
Sie betrachtete sich im Spiegel, und wurde sich der Tatsache vollkommen bewußt, denn sie mußte bereits aus einiger Entfernung ihr Spiegelbild betrachten, um ihr gesamtes Gesicht in diesem wiederzuerkennen. -
„Er wird größer und größer“, - dachte sie, und freute sich über das Wachsen; - doch einige Zeit später kamen Bedenken in ihren Kopf, und sie versuchte sich gegen diese Bedenken zu wehren - diese ließen sich jedoch nicht abwehren, sondern breiteten sich in ihrem Kopf aus, dehnten ihn und wuchsen in ihm und mit ihm.
Sie dachten daran, daß Frau A mit einem so großen Kopf nicht mehr unter anderen Menschen sein könnte, - unter den kleinköpfigen Menschen, da diese über ihren großen Kopf lachen würden - sie ver-lachen würden und sie gezwungen wäre, ihren Kopf verkleinern zu lassen, um ungestört ihres Weges gehen zu können -
Und diese Bedenken wuchsen und wuchsen - und Frau A versuchte mit aller Kraft ihre Hände gegen ihren Kopf zu pressen, damit der Kopf das Spüren der Hände gegen die Bedenken vertauschen würde und somit auch seine Größe spürte, und sich mit Freude darüber füllen könnte, und so, die Bedenken wieder verkleinern würde.
Der Kopf aber hatte seinen eigenen Willen, und ließ sich nicht zwingen - er vertauschte zwar die Bedenken, aber nicht gegen Freude, sondern gegen Arbeit -
Frau A hatte plötzlich Arbeit im Kopf und wurde von ihm zum „tun“ gezwungen - er schrieb ihr vor, was sie schreiben mußte, und schrieb ihr vor, was sie lesen mußte, - er schrieb ihr vor, wohin sie gehen mußte und schrieb ihr vor, wohin sie nicht gehen durfte -
Frau A arbeitete und arbeitete nun - und ihr Kopf wuchs und wuchs - und als ihr Kopf bereits so groß war, daß sie ihn kaum noch tragen konnte, begann sie mit ihm zu hadern, denn ihr Körper begann zu zittern und ihr Herz pochte schwer, - und sie bat ihn, er möge sie in Ruhe lassen, denn sie spürte, daß ihr Kopf, da er sie doch brauchte, und dies auch wußte, nicht wollen konnte, daß es ihr nicht gut ginge - und so war es auch -
Der Kopf gönnte Frau A eine Ruhepause - er ließ keine Bedenken und keine Arbeit mehr in ihm sein, und Frau A legte sich zur Ruhe.
Am nächsten Tag war Frau A’s Kopf wieder zur gewohnten Größe geschrumpft und sie versuchte sich an seine vergangene Größe zu erinnern -
Sie versuchte über die Arbeit, die ihn ausgefüllt hatte, nachzudenken, doch sie erinnerte sich nicht mehr daran; - und sie wurde traurig und ihr Kopf leerte sich immer mehr - sie hatte nur noch eine Ahnung von seiner einstigen Größe, und auch diese schwand immer mehr - und ihr Kopf wurde von der Leere ausgefüllt, die aber, da sie keinen Raum beansprucht, ihren Kopf immer mehr verkleinerte, doch auch dies nahm Frau A nicht mehr wahr, da auch die Wahrnehmung der Leere bereits zum Opfer gefallen war -
Ihr Kopf war nun nur noch ein Sandkorn, doch in demselben Maße wie der Kopf kleiner geworden war, war ihr Herz gewachsen und als das Herz in ihrer Brust keinen Platz mehr hatte, wuchs es in ihren Kopf hinein, und dehnte diesen wieder aus.
Doch da vom Kopf beinahe nichts mehr übrig war, fühlte der Kopf nun wie das Herz, denn er war ja fast vollständig Herz, und er pulsierte und bestimmte den Lauf der Zeit, die Frau A in ihrem Kopf fühlte - und als Frau A den Puls der Zeit spürte, begann sie auch mit dem Herzen zu sehen und zu erkennen und wurde glückselig.